Geschichten eines Soldaten
07.1 - Zwei Stunden im Achtung und drei Tage an Feldis Seite -
Verschiebung nach Unterwasser, die Fahrt im Duro verschlafen und vor dem Hotel „Säntis“ aufgewacht. Schlaftrunken machte sich schon Vorfreude breit bis ich den Eingang in die Zivilschutzunterkunft erkannte. Wäre ja auch zu schön gewesen wenn unsere Unterkunft ein paar Stockwerke höher gelegen hätte.
Hier standen wir nun. Ein kleines Dorf am Fusse des Säntis, menschenleer da die „warmen“ Temperaturen der letzten Wochen hier oben schon den meisten Schnee weggeschmolzen haben. Wie es hier zur Zeit unseres RS Beginns ausgesehen hat konnten wir anhand der Touristeninformationstafeln nur erahnen. Auch sonst war alles wie man es von einem kleinen Skigebiet kennt: Urchige Restaurants und die eine oder andere Apres Ski Bar. Nur war jetzt alles geschlossen und die erste Frage war auch gleich wo wir in diesem verlassenen Dorf unser verdientes Bierchen nehmen konnten. Doch bevor wir den Ort erkunden konnten mussten wir unser neues Zuhause für die nächste Woche beziehen. Die Bezeichnung „eng“ gewann eine neue Bedeutung als wir vor unseren Betten standen. Fragend schauten wir uns an und konnten uns beim besten Wille nicht vorstellen, dass wir hier alle Platz finden sollten. Die Platzverhältnisse hatten auch ihre guten Seiten. So mussten wir nicht die Auslegeordnung achten. Hauptsache es herrscht etwas Ordnung war der Befehl.
Als unser Küchenteam ankam konnte man in Ihren Augen die gleiche Ungläubigkeit erkennen wie bei uns beim Bezug der Unterkunft. So klein unsere Unterkunft so klein die Küche. Einen Speiseraum oder gar Aufenthaltsräume gab es nicht. So wurde die Verpflegung in ein nahe gelegenes Restaurant verlegt. Die anfängliche Vorfreude wich als wir die Nachricht vernahmen, dass sich an unserem Speiseplan nichts ändern wird. Alles wurde in der „Miniaturküche“ zubereitet und dann ins Restaurant gefahren. Sobald wir fertig gegessen hatten, hatte zeitlich höchstens noch ein Kaffe Platz, danach mussten wir raus.
Am ersten Tag lernten wir unseren Minenwerfer weiter oben am Südhang des Säntis kennen. Die Tatsache, dass wir falsch ausgerichtet eben mal ein paar Japaner auf der Gipfelstation vom Säntis „belästigt“ hätten, fanden wir alle zum tot lachen. Unsere Vorgesetzten nicht!
Und da war sie. Lange herbeigesehnt, nun standen wir endlich davor: Munition für unser Geschützt. Doch irgendwie war alles wie vorher. Wir kannten ja jeden Handgriff inzwischen in- und auswendig. Der Unterschied wurde uns erst bewusst als wir angewiesen wurden unseren Pamir aufzusetzen. Den ersten Schuss, ich war zum Glück im Geschütz oben da ich ziemlich flink war was die zuverlässige und fehlerfreie Bedienung der Mechanik betraf, erlebte ich „hautnah“. Mann war das ein Knall! Die kurze, heftige Erschütterung des Geschützes wenn ein „12cm-Gäggu“ das Zwillingsgeschützt verliess machte uns die gewaltige Kraft der kleinen Zündringe zum ersten Mal bewusst.
Und ich denke ich kann für alle aus meinem Zug sprechen wenn ich sage: So machte das erst richtigen Spass!
Die Fähigkeit jedes Wort zu verstehen erleichterte uns in den vergangenen Wochen die Trockenübungen. Mit dem Pamir auf den Ohren war es ein völlig neues Arbeiten. Nicht selten fragten wir uns im Geschütz oben wo die Munition bleibt bis wir endlich merkten, dass die Übung zu Ende war. Neben dem ersten Schiessen mit scharfer Munition standen weitere Wiederholungen auf dem Programm. So z.B. der Bunkerbezug den wir immer und immer wieder üben mussten.
Lautlos, nur mit Handzeichen verständigend, auf alle Seiten abgesichert von A nach B. Wobei „A“ die Stelle ist wo wir abgesetzt wurden und „B“ unser Geschütz, bzw. Bunkereingang ist.
Da wir nicht den ganzen Tag Japaner belästigen oder Bunker beziehen konnten, wiederholten wir auch NGST-Stellungen. Inzwischen hatte es wieder geschneit und die Wiesen waren mit einer dünnen matschigen Schneeschicht überzogen. Perfekte Bedingungen um sich an mir zu rächen, dachte sich „der eine“ Korporal wohl als er mich aufforderte alle Haltungen in der matschigen Wiese zu zeigen. Vor allem die „Liegenden“ durfte ich zu meinem Besten geben. Regenschutz sei Dank war mir das aber egal und ich machte mit einem fröhlichen grinsen mit.
Nach dem wir uns unten im Tal gestärkt hatten, bekamen wir einen kleinen Ausgang. Endlich Gelegenheit den Ort zu erkunden. Bei unserer Rückkehr flitze unser Feldi aufgeregt über den Vorplatz des Hotels und lies alle sammeln. In einer Reihe aufgestellt hörten wir in einem angepissten Ton den ich zuletzt bei meinem ersten gestrichenen Ausgang vernommen hatte worum es geht: Ein „Schpodder“ vor der Eingang unserer Unterkunft.
Richtig gelesen. Wir standen in einer Reihe weil jemand vor den Eingang unserer Unterkunft gespuckt hatte. Muss ja ein riesen Teil sein, dachte ich und war nicht der einzige. Wir alle hatten amüsierte Gesichter und der eine oder andere Lacher war zu hören als wir vom Feldi plötzlich ins Achtung befehligt wurden. Seine Aufforderung, „Er wolle wissen wer das gemacht habe“, ausgeschmückt mit etlichen Kraftausdrücken um die Sauerei zu unterstreichen stellte uns vor ein Problem: Scheinbar war es keiner von uns. Zumindest konnte sich keiner daran erinnern diesen beschriebenen „Mordsschpodder“ vor den Eingang gespuckt zu haben.
Und wie das so ist wenn sich jemand melden soll und keiner es tut, standen wir da und hörten uns die Predigt des Feldis an mit der Hoffnung das ganze würde bald ein Ende nehmen. Die Zeit verging und inzwischen war der anfängliche Schneefall in Regen übergegangen. Diesmal trug ich keinen Regenschutz und dank unserem kleinen Ausgang war keiner von uns auf dieses Schauspiel vorbereitet. So wurde es nach einer Weile empfindlich kalt. An „Ruhn“ war nicht zu denken und jeder der schon einmal „etwas länger“ in der Achtungstellung verharren musste weiss welche Körperteile zuerst anfangen zu schmerzen. Doch unser Feldi blieb stur, wiederholte sich immer wieder und lies nichts unversucht. Irgendwie erinnerte mich das an „guter Bulle, böser Bulle“ mit dem Unterschied, dass unser Feldi gleich beide Rollen spielte.
Nach ca. einer Stunde konnten die ersten Soldaten nicht mehr still stehen und meldeten sich zu Wort. Allerdings nicht mit einem Geständnis sondern mit Einwänden jeglicher Art. Von:“ so gross kann der „Schpodder“ doch gar nicht sein“ bis „wir müssen Morgen wieder raus und fit zum Schiessen sein“ hörte man alles. Das hatte zwar jedes Mal einen weiteren Figg des Feldis zur Folge da wir immer noch im Achtung standen und natürlich nicht sprechend durften, aber das war allen egal. Es war kalt, nass und das Gefühl in unseren Gliedmassen war nur noch eine vage Erinnerung. Ganz um Missfallen des Feldis meldete sich nach zwei geschlagenen Stunden der Kamerad neben mir zu Wort, verliess das Achtung, lieft fluchend am Feldi vorbei und meinte: „Diese Scheisse hier ist mir echt zu blöd. Ich wische den „Schpodder“ jetzt weg und dann ist die Sache aus der Welt.“Allen Drohungen des Feldis zum Trotz liess sich der Kamerad nicht abhalten. Ich hatte den kleinen Mann in meiner ganzen bisherigen RS Zeit noch nie so rumhüpfen sehen. Man musste beinahe Angst haben, dass der kleine vor Wut gleich explodiert.
Da das Problem nun ein weggewischtes Problem war und sich unser Feldi nach einer gewissen Zeit wieder beruhigte liess er uns widerwillig in die Unterkunft gehen.
Die Nacht im warmen Bett hätte nach diesem Zirkus angenehm werden können wären nicht zwei unserer Leute auf die absurde Idee gekommen im Notausstieg der Zivilschutzunterkunft einen Joint zu rauchen. Wahrscheinlich hätte niemand je etwas davon mitbekommen wenn nicht ausgerechnet drei Meter weiter oben die Lüftung Frischluft angezogen hätte. Nach den ersten Zügen am Joint dauerte es nur noch Sekunden bis unsere ganze Unterkunft wie ein Coffee-Shop in Amsterdam duftete.
Nach einem kurzen aber lautstarken Theater durch einen unserer Korporäle, „Schpodder-Feldi“ war zum Glück weiter weg in einem Hotelzimmer einquartiert, verliessen die zwei in Begleitung des Korporals die Unterkunft. Endlich Ruhe, dachte ich und begab mich ins Land der Träume.
Nach einer kurzen Nacht wurde ich am nächsten Morgen kurzfristig als Büroordonanz eingeteilt. Na toll! Nach der gestrigen Vorstellung darf ich nun einen ganzen Tag an Feldis Seite sitzen. Ich packte schnell meinen kleinen Kassettenrecorder, ein paar „Zeitschriften“ und machte mich auf den Weg ins KP welches im Sääli unseres Restaurants zur Verpflegung untergebracht war. Es folgte eine kurze Einführung über das Melden am Telefon und eine lange Einführung über das Vorgehen wie der Feldi hinter der Trennwand unauffällig zu wecken ist wenn ein Ranghöherer den Raum betritt. Musik erlaubt, lesen erlaubt, rauchen erlaubt, Getränkebestellungen gehen an die Servierdame welche von Zeit zu Zeit vorbeischaut. Das war alles was ich wissen musste. Vor mir eine grosse Fensterfront mit Blick ins Tal, neben dem Telefon Aschenbecher, Kassettenrecorder und einen frischen Kaffe. So lässt es sich leben.
Zu meinem grossen Erstaunen war der Feldi nicht wiederzuerkennen. Gut gelaunt, zwar etwas müde, aber sehr freundlich und kein Wort über den gestrigen Abend verlierend verkroch er sich an seinen Platz hinter der Trennwand und machte ein Nickerchen. Einen angenehmeren Tag hatte ich in meiner bisherigen Zeit in der RS nicht erlebt.
Am nächsten Tag wurde ich wiederholt als Büroordonanz eingeteilt. Diesmal freute ich mich jedoch über die Einteilung. Es würde ein weiterer ruhiger Tag werden und da sich das Wetter von seiner besten Seite zeigte, konnte ich an meinem grossen Fenster sogar „sönnele“.
Im Ausgang am Abend berichtete ich meinen Kameraden wie chillig der Bürodienst hier oben ist. Auch sie hatten bei diesem Wetter einen der angenehmeren Tage erlebt. Die Einladung von Feldi nach dem Ausgang in seiner Unterkunft weiter auf den Putz zu hauen und div. Getränke unter Verwendung seines Of-Kisten Inhalts zusammenzumixen lehnte ich allerdings dankend ab. Langsam wurde er mir unheimlich.
Etwas verkatert standen wir am Morgen darauf vor unserer Unterkunft und unser Zugführer gab bekannt dass ich ein weiteres Mal zum „chillen im KP“ eingeteilt sei. Doch diesmal meldeten sich meine Kameraden und vor allem einer war sichtlich angepisst dass ich schon wieder einen ruhigen Tag im Büro verbringen sollte. Ich blieb fair und sagte ich hätte kein Problem damit wenn jemand anderer an meiner Stelle geht. Unser Zugführer schickte so gleich den Neider der am meisten wetterte Richtung KP. Unverrichteter Dinge kehrte er nach zehn Minuten zurück und meinte „er“ wolle nicht ihn sondern „Stollenfuchs“. Schulterzuckend sah mich unser Zugführer an und sagte: “Na gut, sie haben es gehört.“
Da meine Kameraden ihre Arbeit in den letzten zwei Tagen offenbar gut gemacht haben stand am Nachmittag ein Ausflug auf den „Chäserrug“ auf dem Programm. Meine Kameraden genossen die kleine Abwechslung vom Schiessen und meine Wenigkeit sah seit zwei Tagen mal wieder mehr als vier Wände und eine Fensterfront. Dieser Tag hätte für alle als einer der schönsten in Erinnerung bleiben können wäre am Abend nicht „spontan“ eine Übung bekanntgegeben worden. Nach dem Nachtessen mussten wir unsere Sachen packen und verladen. Die Bergung von Verletzten stand auf unserem Lehrplan. Nach einer einstündigen Fahrt ins Ungewisse fanden wir uns auf einem Übungsgelände wieder.
Überall Ruinen und Schutt. Irgendwo dazwischen Schreie uns noch unbekannter Leute. Nach einer kurzen Einweisung machten wir uns auf das Gelände zu durchsuchen. Wie wir bald feststellten waren die Verletzten unsere alten Bekannten aus der Festung Castels. Also diejenigen die nicht das Glück hatten die Kaserne unten im Tal beziehen zu können sondern 15 Wochen im Berg verbrachten. Die Tatsache, dass unsere Kameraden von damals schon zwei Stunden zwischen all dem Geröll auf dem kalten Boden liegen mussten machte ihre Schauspielerei umso realistischer. Die Übung wurde zur Zufriedenheit unserer Vorgesetzten abgeschlossen. Spät in der Nacht besuchte uns unser Feldi vor der Unterkunft und fragte mich wie ich diese Übung erlebt habe. Meine Antwort machte ihn sprachlos und er konnte nicht mehr erwidern als ein verlegenes Lächeln:
„Das war bis jetzt das einzige was ich in meiner bisherigen RS-Zeit gelernt habe was wirklich Sinn macht.“
Mit diesen Worten verabschiedete ich mich Richtung Bett. Morgen würden wir wieder in unser altes Zuhause zurückkehren.
07.2 - Aus heutiger Sicht -
Nach zwei Stunden im „Achtung“ geht man anders. Das hat jeder von uns an besagtem Abend gelernt. Eigentlich kann man nicht mehr von Gehen sprechen. Es sah aus als ob jeder von uns in den Taz gesch… hätte als wir zurück in die Unterkunft humpelten. Das ganze Theater um den „Schpodder“ kann ich noch heute nicht verstehen. Es diente wohl eher dazu die Stellung des Feldis in Erinnerung zu rufen. Oder aber, dieser hatte einfach einen schlechten Tag. Who knows…
Bei demjenigen der die “Sauerei“ weggewischt hat, haben wir uns später für sein Einschreiten bedankt und ihm unseren Respekt gezollt da er sich für den Rest der Truppe „geopfert“ hat.
Konsequenzen hatte dieses Einschreiten für ihn aber nie.
Die kleine Rache des Korporals erkannte ich auf Anhieb. Alleine schon sein Blick als er mich dazu auserkoren hat die Stellungen im Schneematsch vorzuzeigen machte mir klar worum es hier geht. Ich hatte kein Problem damit und nahm es mit Humor. Schliesslich ging es darum „das Gleichgewicht“ zu erhalten.
Meine Zeit als Büroordonanz in Unterwasser war wohl die chilligste Zeit der ganzen RS. Ich vermute ich wurde von unserem Feldweibel so oft dazu eingeteilt weil ich meine Aufgabe richtig machte. Vor allem die Aufgabe ihn mit einer lauten Meldung zu wecken wenn ein Ranghöherer den Raum betrat erledigte ich zu seiner vollsten Zufriedenheit. Ganz nebenbei hatte er den gleichen Musikgeschmack und von meinen „Zeitschriften“ machte er auch regen Gebrauch
. Das dürfte wohl ein weiterer Grund sein warum er den „Neider“ wieder zurückschickte und mich ein weiteres Mal einteilte. Dieser Neider war übrigens einer unserer unverbesserlichen Querschläger welcher sich nach Möglichkeit vor allem drückte und ständig am rumnörgeln war. In meiner weiteren Dienstzeit habe ich festgestellt, dass es immer solche Querschläger sind die sich unfair behandelt fühlen und um jeden Preis einen Vorteil für sich herausschlagen wollen. Kameradschaft und Fairness ist nicht ihre Stärke. Hauptsache sie kommen gut weg und müsse so wenig wie möglich tun. Querschläger sind also nicht nur für die Vorgesetzten ein Übel, auch für den Rest der Kompanie sind sie alles andere als gute Kameraden.
Die Übung zur Bergung von Verletzten halte ich übrigens bis heute für eine der sinnvollsten Übungen meiner ganzen Dienstzeit.
--- und das nächste mal:
"Überlebens... äh, Durchhaltewoche"